Vergewaltigungen in Indien: Frauen nutzen Apps für mehr Sicherheit

Vergewaltigungen sind ein großes Problem in Indien. Einige Mädchen aus Mumbais größtem Slum wollen nun mit einer Handy-App für mehr Sicherheit sorgen. Auch die Polizei setzt auf neue Technologie.

Von Julia Jaroschewski, Mumbai

Apps für Sicherheit: Screenshot Spiegel Online

Apps für Sicherheit: Screenshot Spiegel Online

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BuzzingCities Lab #rpTEN Talk: Die Waffen der Favelas

Tausende Besucher, rund 800 Speaker und Speakerinnen, ein Forum für alle Facetten digitalen Lebens: Innerhalb von zehn Jahren ist die re:publica vom Klassentreffen der Berliner Netzcommmunity zur Riesen-Digitalkonferenz herangewachsen.

Ich habe bei meinem Talk auf der rpTEN berichtet, wie die Situation der Favelas im Olympiajahr 2016 aussieht und warum Social Media zum Gamechanger wird. Was früher in den Favelas geschah, blieb unsichtbar – jetzt dokumentieren Favelabewohner mit Smartphones und sozialen Netzwerken Schießereien und Polizeigewalt.

„Online haben die Leute keine Angst“

In Mosambik werden immer wieder Regierungskritiker und Journalisten ermordet – obwohl die Presse- und Meinungsfreiheit in der Verfassung verankert sind. Um die offene demokratische Auseinandersetzung voranzutreiben, hat die Digitalakti­vistin Fernanda Lobato das Portal „Olho do cidadão“ (Auge des Bürgers) gegründet. Mit ihrem Projekt Txeka – das Wort ist vom englischen „check“, prüfen, abgeleitet – ermöglichte sie der mosambikanischen Bevölkerung erstmals, Probleme und Unregelmäßigkeiten bei der Präsidentschaftswahl 2014 aufzudecken.

Julia Jaroschewski, Maputo

Digitalisierung Mosambik Julia Jaroschewski
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Mit Smartphones gegen die Gewalt in Rios berüchtigster Favela

In einem der gefährlichsten Favela­gebiete von Rio de Janeiro agiert die Polizei oft, als stünde sie über dem Gesetz. Rene Silva und sein Team kämpfen gegen diese Willkür an. Ihre Waffen: Smartphones. Ihr Schlachtfeld: das Internet. Durch ihre direkte und unmaskierte Berichterstattung verleihen die jungen brasilianischen Journalisten ihrer Heimat, den Armengebieten der Metropole, eine gewaltige Stimme im Netz. So brachial laut, dass sie nicht mehr ignoriert werden kann.

Von Julia Jaroschewski, Rio de Janeiro

First Look ins Wired-Magazin

First Look ins Wired-Magazin

Online-Version des Textes auf wired.de

und als Print-Version im WIRED-Magazin 09/2015

Die Neuvermessung der Stadt

Complexo do Alemão - Rio (Copyright: Julia Jaroschewski)

Complexo do Alemão – Rio (Copyright: Julia Jaroschewski)

Auf Stadtkarten unterschlagen, von Google Maps gelöscht: Lange blieben die Favelas von Rio de Janeiro unsichtbar. Mit digitalen Karten und anderen kollaborativen Projekten verschaffen Favelabewohner den Armenvierteln online eine neue Präsenz.

erschienen auf Vocer

„Stell dir vor, du lebst in einer Siedlung mit mehr als 20.000 Menschen, aber sie erscheint auf keiner Karte“, schreibt die NGO AfroReggae. „Im Fall von Parada de Lucas war es lange genau so – mit Hilfe der Bewohner ändert sich das jetzt.” Die Favela Parada de Lucas liegt im ärmlichen Norden der Strandmetropole Rio de Janeiro, dort, wo sich zahlreiche Wohnviertel der unteren Mittelschicht erstrecken und Armenviertel aus Hunderttausenden Ziegelhäusern, wohin sich kaum ein Tourist oder wohlhabender Brasilianer verirrt.

Mit der Initiative „Tá no mapa“, „Es ist auf der Karte“ von AfroReggae haben junge Favelabewohner nun selbst eine virtuelle Karte ihres Viertels erstellt, die auf Läden, Restaurants, Plätze, Kirchen oder Sehenswürdigkeiten aufmerksam macht. „Eine Karte ist mehr als eine Karte – sie ist auch ein Existenzbeweis“, so AfroReggae.

Im Internet verschaffen Favelabewohner ihren Vierteln mehr Sichtbarkeit, berichten in Blogs und sozialen Netzwerken über das Geschehen in den Favelas oder vermessen die Stadt mit kollaborativen Online-Karten wie „Tá no mapa“ neu, um auch die positiven Seiten der Armenviertel zu zeigen.

Wie Legosteine aufeinandergestapelte Ziegelhäuschen, Labyrinthe aus schmalen Gassen, Straßen ohne Namen, Territorien, in denen Drogenbanden mit Maschinengewehren patrouillieren, Städte in der Stadt: Jahrzehntelang waren die brasilianischen Favelas unzugängliche Siedlungen, in denen eigene Gesetze herrschen.  Synonyme für Armut, Gewalt und Kriminalität – manche Favelas nur ein paar Schritte von den Vierteln der Wohlhabenden entfernt, viele so abgelegen, dass sich ihre Existenz verdrängen lässt.

Allein in Rio de Janeiro gibt es mehr als 1.000 Favelas, in denen etwa ein Viertel der Bewohner Rios lebt. Doch als Schandflecken wurden die Siedlungen von den offiziellen Stadtkarten verbannt, sogar von Google Maps.

VON GOOGLE MAPS GELÖSCHT

Als Google die Armenviertel im Internet anzeigte, war das für viele Brasilianer ein Schock: Auf der virtuellen Karte von Rio de Janeiro poppten überall Favelas auf, sie lenkten optisch von den etablierten Stadtvierteln und Sehenswürdigkeiten wie der Christusstatue oder dem Zuckerhut ab. Seit 2009 betrieben der Bürgermeister von Rio, Eduardo Paes, und die städtische Tourismusagentur Riotur deshalb Lobbyarbeit – und setzten tatsächlich durch, dass der Begriff „Favela“ in Rio größtenteils von Google Maps gelöscht wird.

Die meisten Favelas werden nur noch mit ihrem Namen angezeigt, oder mit dem Begriff „Morro“ davor, Hügel – ein brasilianisches Synonym für Favela, das aber kaum ein Ausländer versteht. Und viele sind nur Farbkleckse auf Google Maps, weil online höchstens Hauptstraßen angezeigt werden. Die kleineren Straßen und Gassen, die in Favelas vorherrschen, bleiben unsichtbar.

In einem Google-Forum beschwert sich ein Nutzer namens  “Boctok” darüber, dass die Armenviertel in anderen brasilianischen Städten wie Recife, Fortaleza, Maceió oder João Pessoa immer noch explizit gekennzeichnet werden. Er wünscht sich, dass die Armenviertel von der Karte verschwinden – wie in Rio de Janeiro.

„Die virtuelle Löschung ist Teil des städtischen Projekts, das Armut und die Armen verstecken soll – sowohl virtuell als auch real, wie mit Zwangsumsiedelungen”, kritisiert dagegen das Comite Popular von Rio, eine Vereinigung von NGOs und Sozialaktivisten.

MIT DEM MOBILTELEFON DIE FAVELA KARTIEREN

Auch die 23-jährige Suellen Casticini aus der Favela Morro Agudo findet, dass es ein Grundrecht ist, auf einer Karte verzeichnet zu sein. Sie hat 2013 bei der Initiative „Wikimapa“ gearbeitet – und mit dem Mobiltelefon Orte in der Favela fotografiert und auf eine virtuelle Karte  hochgeladen. In den Medien werde höchstens von Kriminalität in den an die Favela Morro Agudo angrenzenden Vierteln berichtet, sagt sie. Niemand wisse, dass es in der Favela auch Schönes gebe, wie Wasserfälle oder Feste.

Die Wikimapa-Karten verschaffen einen Überblick über Sehenswürdigkeiten, Kirchen, Krankenhäuser, Schulen, Sportzentren, Organisationen, Restaurants, Bars, Bushaltestellen, Läden und Straßen in Favelasiedlungen wie Complexo da Maré, Cidade de Deus, Santa Marta, Pavão Pavãozinho und Complexo do Alemão in Rio – und ständig fügen die Reporter neue Favelas hinzu.

Hinter dem Projekt „Wikimapa“ steht die NGO Rede Jovem, die seit dem Jahr 2000 versucht, den Wandel der Favelas mit Internet und Mobiltechnologie voranzutreiben. 16 feste Wikireporter und Freiwillige haben inzwischen an der virtuellen Verortung der Favelas mitgearbeitet.

VIRTUELLE KARTEN

Die Wikireporter sind zwischen 16 und 25 Jahre alt, internetaffine Jugendliche und junge Erwachsene, die in einer Favela leben und sich dort gut auskennen. Nach einem dreitägigen Workshop lernen sie mit dem Handy Fotos aufzunehmen und Videos zu produzieren, mit der Wikimapa-Webseite und der App umzugehen, mit der sie Fotos und Informationen verorten.

Die virtuellen Karten sollen nicht nur den Blick von außen verändern, sondern wirken auch nach innen: Die Favelabewohner entdecken vieles, was sie selbst noch nicht kannten – und manche Geschäftsinhaber hoffen, dass der Eintrag kostenlose Werbung für sie ist.

„Ich glaube, dass solche Initiativen helfen, Vorurteile zu brechen“, so Wikireporterin Casticini. Mit der Internetpräsenz allein werden sich die Favelas zwar nicht in normale Stadtviertel mit ausreichender Infrastruktur verwandeln. Aber die virtuelle Sichtbarkeit kann dazu beitragen, dass auch abgelegene Favelas wie Morro Agudo oder Parada de Lucas als Teil von Rio de Janeiro wahrgenommen werden, stärker ins öffentliche Bewusstsein rücken.